Und er lebt doch – und zwar am Hallwilersee

Eine Gluthitze, ein Eisbär und plötzlich rockte und rollte ich im Petticoat

Geahnt hatte ich es schon immer, doch die Gewissheit, tja, die kam Jahre, Jahrzehnte später und ich ahnte nicht, dass es so harmlos beginnen würde, wie es dann begann.

Es begann mit einem Gratis-Wandertipp aus dem Internet. Dort las ich, rund um den Hallwilersee sei eine der schönsten Seenwanderungen im Kanton Luzern. Ich also nix wie hin, Ankunft Mosen Bahnhof 9:05 Uhr, fröhlich losgestöckelt mit den Wanderstöcken, vorbei am Kebabstand und am Campingplatz, nichts Aussergewöhnliches, alles so, wie es sein soll. Die ersten frühen Badefreudigen legten ihre Tücher auf die Sonnenwiesen, brachten Kühlbox und Grill in Stellung. Der Duft von Sonnencreme waberte in Schwaden durch den unauffälligen Morgen.

Die erste Wanderetappe von Mosen bis zum Schloss Hallwil führte so ziemlich erwartungsgemäss dem Seeufer entlang. Rechts der Blick aufs blaue Wasser, links halt das, was es überall hat, Wiesen, Einfamilienhäuser in einheitlichem Weiss, mit obligatem Gartenzaun und vorbildlich getrimmten Rasen. Nichts, was mich von den Socken gehauen hätte. Die Temperatur im Wohlfühlbereich, angenehme irgendwas. Ziemlich gelangweilt setzte ich mich beim Schloss Hallwil nach drei Stunden marschieren auf eine Bank und schaute kurz einem Hochzeitspaar zu, wie es posierte. Ach ja, die Braut trug weisse Sneaker.

Ein Eisbär und rote Rosen, Treibhäuser voller roter Rosen

Keine Ahnung, wie es passierte, aber als ich mich um 12:10 Uhr an die zweite und letzte Etappe machte, waren es plötzlich sagenhafte 34 Grad Celsius. Nachdem ich die ersten mutigen Schritte in den flirrenden Mittag hineingemacht hatte, wurde mir schlagartig bewusst, dass es hart werden würde. Es wurde ein glühender Trip. Um 12:15 Uhr schaute ich schon ziemlich schlapp hinter alle Büsche, aber nirgends ein E-Trottinett, das ich diskret hätte entwenden können, kein optimistisch blinkendes UFO und keine Aliens, die mir freundlich Eiswasser anboten. Nicht mal ein Postauto, das mich erlöst hätte. Nun gut, dann eben weitermarschiert, durch die Gluthitze, der Schweiss färbte mein T-Shirt dunkelorange und im Gesicht wurde ich gefühlt immer weisser.

12:45 Uhr, da packte mich die grosse Krise und das Delirium begann. Ich weiss nicht, wie es kam, aber plötzlich schritt ich neben mir her. Eine Windturbine schaufelte eine kräftige, winterliche Brise herbei, ich wähnte mich in einer Gletscherhöhle, wollte schon die Faserpelzjacke anziehen, da flackerte Hitze durch mein Hirn, alles brutzelte, ein Eisbär zottelte neben mir her und sprach motivierende Worte. Ich schnaufte, japste, kämpfte, marschierte durch Glut und Fantasia, sah rote Rosen blühen, Treibhäuser voller roter Rosen, violettes Schilf, pinkes Wasser. Da roch ich Sonnencreme, Campingplatz, Kebabstand, Bahnhof, Abfahrt Mosen 13:47 Uhr.

Es gibt Hoffnung

Plötzlich tänzelte Elvis Presley um mich herum, rief: «Come one, Girl, it’s time for Rock’n’Roll», neckischer Hüftschwung und ich weiss nicht, wie es passierte, ich neckte zurück, brachte meine Wanderschuhe in Stellung und los rockten wir, Elvis und ich. «Jailhouse Rock», zwei Minuten und dreiundvierzig Sekunden, der King of Rock’n’Roll und ich im Petticoat, rot wie Rosen, Ballerina, Pferdeschwanz. Mit einem bravourösen Salto landete ich wieder in meinen Wanderschuhen. Give me five mit Elvis und lachend schwirrte er davon. Ich gestehe es, einst war mein Schlafzimmer tapeziert mit Postern von ihm. Die Gluthitze kühlte dank der Klimaanlange im Zug ab, ich fand meine fünf Sinne geordnet im Rucksack, nahm einen grossen Schluck Wasser. Planmässige Ankunft im Hier 15:47 Uhr.
Elvis lebt, es gibt Hoffnung an diesem Tag, 18. Juni 2022.

 


Eine harmlose Wanderung um den Hallwilersee und plötzlich stand er wahrhaftig vor mir. (Foto: Morena Pelicano)